Krankheiten sind gemein und böse. Es wäre völlig sinnlos, ihnen Opfergaben zu bringen, sie mit hymnischen Liedern wohlgefällig zu stimmen oder ins Abendgebet einzubetten. Das hält sie weder auf, noch lenkt es sie davon ab, gesund und brav Lebende perfide zu überfallen und Lasterhafte wiederum zu verschonen. Oder umgekehrt, je nach Lust und Laune. Wenn wir uns das bewusstmachen, können wir uns diesen Schweinehund leichten Herzens zunutze machen, ihn als Vorwand missbrauchen und uns listig hinter ihm verstecken. Er hat es nicht anders verdient. Ich zum Beispiel sehe nur noch, was ich sehen will, alles andere erkläre ich mit meinen schwächer werdenden Augen. »Och, das habe ich gar nicht gesehen« ist meine Begründung dafür, warum ich das Radfahrverbotsschild missachtet habe oder den schmutzigen Abwasch nicht bemerke. Bei Anfragen, ob ich mal beim Umzug mit anpacken könnte, verweise ich auf meinen kaputten Rücken, Steuerzah-lungstermine oder Rechnungen vergilben durch meine Vergesslichkeit und wenn ich mich in die Hecke eines Vorgartens entleere, gebe ich meiner schwachen Blase die Schuld. Das zerrissene Knöllchen geht auf Kosten meines Tatterichs und den »Affenarsch!« schiebe ich auf mein Tourette-Syndrom. Für meine Libido ist der hohe Blutdruck verantwortlich und nach der runtergefallenen Bananenschale kann ich mich wegen meiner Knie nicht bücken. Was ich nicht gerne esse, schiebe ich auf meinen Cholesterinspiegel und meinen Bierkonsum definiere ich als verordnete Nierenspülung. Gestern meinte mein Hausarzt beim alljährlichen Gesundheitscheck, dass meine Leberwerte schlecht wären. Ich hab mich bedankt und bin fröhlich aus der Praxis. Hören tue ich nämlich auch nicht gut.