Nach einer Woche Norddeutschland hat mich das ganz normale Inselleben wieder im Griff. Beim Auspacken aller möglichen sinnvollen und sinnlosen Sachen fiel auch „Hinz & Kuntz“ aus der Tasche, das Straßenmagazin. Ein Selbsthilfeprojekt, das Obdachlosen Mut machen will. Da las ich nun, dass Mike, 32, als schönstes Erlebnis der Woche ein Stück Pflaumenkuchen beschrieb. Und wenn er einen Wunsch frei hätte, wünschte er sich Gesundheit. Helga, 24 und auch auf der Straße, wünscht sich „ein ganz normales Leben mit einer eigenen Wohnung, weg aus dem Obdachlosendasein“. Jemand anders wünschte sich, dass Peek & Cloppenburg die Wasserdüsen nachts abstellt, die den Eingang nassspritzen, um Wohnungslose zu vertreiben. Obdachlosen in unseren Breitengraden geht‘s in diesen Zeiten doch blendend im Vergleich zu den zig Tausenden in Südindien und Sri Lanka, werden Sie einwenden. Mag sein, dass man das so sehen kann. Aber viele Obdachlose sind heutzutage nicht die betrunkenen Penner, die sich manche Leute vorurteilsbeladen so vorstellen. Arbeitslos, wohnungslos, obdachlos, der Anstieg geht oft schnell.
Selbstverschuldet... unverschuldet... wo ist die Grenze? Unverschuldet sicher die Millionen Menschen, die nach dem Tsunami und nach irgendwelchen Hurricans kaum ahnen, wie das Leben weitergehen soll, und wir als ferne Zeugen versuchen weiterzuleben wie bisher. In einer Zeit, in der wir technisch alles zu beherrschen glauben, verlieren so viele Menschen alles. Meine wohnungslosen Hinz & Kuntz-Freunde haben sauberes Trinkwasser, manchmal Schlafplätze und Essen, was ist das gegen Seuchengefahr, Massengräber und Hunger. Und manche reichen Touristen des Westens jammern auf vergleichsweise hohem Niveau über verlorene Pässe und Koffer, während sie weiter Urlaub machen in den letzten Paradiesen, bewohnt von einfachen, anspruchslosen Menschen, die zwar arm, aber angeblich glücklich sind, und pfeifen auf Mitverantwortung, Dankbarkeit, Anteilnahme und Mithilfe. Große Katastrophen sind auch dazu da, diese Werte wieder zu aktivieren, im großen wie im kleinen, im Pazifik und zu Hause.