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09. December 2024

Correo del Valle - Humor & Satire La Palma - Dr. Ingrid Jütting - So ist das eben hier

Humor & Satire So ist das eben hier

So ist das eben hier

Sie gehen optimistisch und energiegeladen aus dem Haus. Auf dem Einkaufs- und Besorgungszettel sind mutig 13 Sachen verzeichnet, die Sie erledigen möchten und am Mittag kommen Sie schweißgebadet, frustriert und kopfschüttelnd zurück und haben gerade mal eine Sache, und auch die nur mit maximaler Kompromissbereitschaft, erledigt? Tja, so ist das eben hier. Haben Sie auch das Gefühl, die Hälfte Ihres Lebens verbringen Sie sowieso mit Warten vor Schaltern und Tresen? So ist das eben hier. Oder: Sie haben irgendwo etwas bestellt und geglaubt, dass Sie es tatsächlich mañana abholen können? Das hat man Ihnen schließlich gestern gesagt ... Und Sie wandern tapfer 34mal in dasselbe Geschäft und erhalten immer wieder die gleiche freundliche Einwortantwort, nämlich »mañana« - und Sie kommen und kommen einfach nicht weiter? Tja, so ist das eben hier ... »mañana« heißt eben nicht morgen, sondern irgendwann in der Zukunft. Die zweite entscheidende Vokabel, die Sie verinnerlichen müssen, ist das Wort »tranquilo«. Immer mit der Ruhe, immer hübsch langsam. Wenn Sie lernen, die Dinge »tranquilo« anzugehen, haben Sie überlebenstechnisch ausgezeichnete Chancen.

Tranquilo müssen Sie auch den hausgemachten Katastrophen gegenübertreten. Nach dem letzten sibirisch-palmerischen Winter sind Ihre Wände durchsetzt mit feuchten Flecken ... und das einzige, was Ihrem Allroundhandwerker einfällt, ist der Tipp, die Wände neu zu streichen? Tja, na Sie wissen schon. Aber haben Sie schon mal erlebt, dass ein Automechaniker in die finsterste Pampa kommt, um Ihr Auto vor Ort zu reparieren? Und dabei auch noch gute Laune hat? Oder dass Sie in einer Kneipe stehen, kaum erste Kontakte geknüpft haben und plötzlich feststellen, dass der Kaffee, den Sie gerade getrunken haben, bereits von einem netten Gast bezahlt wurde? Überhaupt, Männer treffen sich vorzugsweise auf der Straße und in der Kneipe. So ist das eben hier. Und was können Sie sonst noch lernen von der palmerischen Männerwelt? Viel. Vergessen Sie die zentraleuropäische Hektik, denn in der Ruheliegt die Kraft. Ältere Männer sitzen in dunkler, sonnenfester Kleidung auf Bänken, plaudern über dies und das oder über vorbeieilende Touris in kurzen Höschen mit geröteten Beinen. Und während sie sitzen und schwatzen, erledigen sich viele Dinge von selbst. Mindestens die Hälfte der Leute, die man gerade wegen dit und dat sprechen wollte, trifft man auf dem Weg von A nach B oder eben in der nächsten Kaffeekneipe, das wissen Sie ja schon, übrigens auch Bankdirektoren, Gemeindemitarbeiter oder Reisebüroangestellte.

Das Mitteilungsbedürfnis hier auf der Insel scheint generell groß. Reden und Ansprachen jeglicher Art sind ausführlich und ausschweifend, kurz und knapp ist hier eher unhöflich. Wenn Sie in einer Schlange stehen, vorzugsweise an Bankschaltern oder in den örtlichen »ferreterías« (vergleichbar am ehesten mit den guten alten Eisenwarenhandlungen), kann das dauern. Nur Geduld, denn erst wenn die Gesundheit der Mutter und der Ziegen oder andere höchst drängende Fragen geklärt sind, beginnt der eigentliche Einkaufsakt. Auch das Abzählen der Schrauben und Nägel dauert schließlich seine Zeit, und meistens sind die wahren Schätze sowieso in den hintersten, untersten Schubladen versteckt ... und das dauert eben alles. Am besten nutzen Sie die Zeit, um aufmerksam zuzuhören. So lernen Sie die Sprache am schnellsten. Dann kann Ihnen allerdings auch passieren, dass Sie Zeuge mehr oder minder lustiger Dialoge werden. Als z. B. beim örtlichen Metzger eine Kundin mit ausladender Gestik „una grande puta para mi marido“ bestellte (sie wollte eine große Pute für ihren Mann zubereiten), brach alles in tosendes Gelächter aus, denn puta heißt nun mal Hure. Gut gemeint, aber dumm gelaufen. In dieselbe Kategorie gehört die Anfrage, die ich in der örtlichen ferretería aufschnappte, als jemand eine Vorratsflasche für Essig kaufen wollte, „una bota para viagra“ verlangte (Essig heißt nun mal vinagre und ist weitgehend unbekannt als Potenzmittel). So ist das eben auch hier, wenn Ausländer einkaufen gehen. Aber sagen Sie doch mal ehrlich: war das nicht ursprünglich ein Grund, nach La Palma zu kommen? Weg von der zentraleuropäischen Hektik, eintauchen in eine dörfliche Kulturidylle, nie mehr Stress und Ärger? Und dann holt Sie der in aller Welt bekannte zentraleuropäische Perfektionismus, all die Besserwisserei und niedrige Toleranzschwelle wieder ein. Seien Sie vorsichtig und vergessen Sie niemals, mit welch blitzartiger Geschwindigkeit Gerüchte – übrigens auch über Sie – durch die kleinen Orte fliegen. Jaja, wollen Sie einwenden, aber ... Klar, hat alles seine Grenzen, auch die Nummer mit der Anpassung. Aber wenn Sie als Ausländer hier leben (oder gar noch weiblich oder ohne Partner umherirren), dann machen Sie sich auf einiges gefasst. Schnell unterstellt man Ihnen, Sie seien unterwegs, um den Palmeras ihre Männer abspenstig zu machen oder den Palmeros zu zeigen, wie man Frauen emanzipiert. Ergo, suchen Sie sich einen palmerischen Partner. So lernen Sie auch die Sprache am besten. Allerdings müssen Sie bei der Heirat berücksichtigen, dass zuallererst Mama einverstanden sein muss, und Sie sollen auch gerne mit Mann bei Mama wohnen bleiben. Mann wohnt ja schließlich auch noch dort, obwohl schon im biblischen Alter. Das ist eben auch so hier.

Aber Familiensinn hat doch auch angenehme Seiten. Nie mehr einsame Sonntage mit „Bild der Frau“; stattdessen Picknicks mit Mann und Maus sowie Grill und Vino im Refugio oder in der familieneigenen Bodega. Nie mehr überlegen, was Sie für eine Einzelperson kochen sollen, weil grundsätzlich mindestens zwölf Personen gleichzeitig zum Essen erscheinen und Mutter den Kochlöffel schwingt, da sie Ihren ayurvedisch-vegetarischen Kochkünsten nicht traut. Nie mehr nachdenken, wie die eingetretene Stille durch irgendeine intelligente Bemerkung von Ihrer Seite überbrückt werden könnte, denn grundsätzlich reden sowieso alle lautstark und durcheinander. Keine Spur von gedrückter Stimmung also. Und irgendwie scheinen alle Beteiligten allen gleichzeitig zuzuhören. Phänomenal. So ist das eben hier.

Genau hinzuhören müssen Sie hier lernen. Das Fischauto kündigt im Vorbeifahren den aktuellen Fang an, der Brotwagen hupt genauso renitent. Trotz tranquilo gilt es jetzt zu handeln, schnell dem Wagen hinterherzulaufen, um Brot und Fisch zu sichern. Genauso verfahren Sie mit Kulturangeboten. Gepaart mit entschlossener Spontaneität jederzeit kurzfristige Tagespläne über den Haufen zu werfen, können Sie sich nicht etwa dann Kulturelles einverleiben, wann es Ihnen passt. Nein nein, hier heißt es Ohren auf und mitgemacht. Das Ausruferauto kündigt maximal vier Stunden vor Beginn eines Konzertes an, dass selbiges stattfindet. Hören Sie genau hin, sagen Sie dann alles andere ab und genießen Sie die Kultur, egal was geboten wird. Im Laufe der Zeit werden Sie feststellen, dass allerhand Künstler auf der Insel leben, die erstaunlich aktiv sind. So ist das nämlich eben auch hier – diese Insel zieht alle möglichen Schmetterlinge an. Und Sie können sie bestaunen. Das ist doch was.

Staunen sollten Sie überhaupt gerne wieder einmal. Und genau hinsehen. Wissen Sie, woran Sie ganz sicher einen Palmero auch aus größerer Distanz erkennen können? Wenn er eine Aufzählung mit „erstens, zweitens, drittens“ startet, aber mit dem kleinen Finger beginnt. Ein deutscher Mann würde immer mit dem Daumen beginnen. Und wenn Sie eine zierliche, elegant gekleidete Dame mit kleinem Täschchen treffen – garantiert eine Spanierin! Die deutschen Damen haben allesamt große Beutel. Das glauben Sie nicht? Das stimmt so nicht? Stimmt, die Welt ist voller Vorurteile, in allen Bananenrepubliken dieser Welt.

Ingrid Jütting
Dr. Ingrid Jütting
(Ostfriesin, mittlerweile alt und weise)
lebte und arbeitete Anfang der 90er Jahre für eine ganze Dekade auf La Palma und beschrieb in ihren Kolumnen für den Correo del Valle mit scharfer Beobachtungsgabe das Inseltreiben – von „ganz normalen“ Alltagssituationen bis hin zu Blicken hinter die Kulissen des einheimischen Daseins, die sie manchmal durchaus an Ostfriesland erinnerten.

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