Die Inselfauna der Zweibeiner: über aussterbende Arten, Zugvögel, Nesthocker und deren Erkennungsmerkmale
Machen Sie gerade Urlaub auf la Palma? Leben Sie hier? Lebten Sie etwa schon immer hier? Zu einer der gerade genannten Gattungen gehören Sie mit Sicherheit. Es gibt nämlich nur diese drei: Touris, Resis, Palmis (zu den Resis gehört auch die Unterart der hier länger schon lebenden Exemplare). Palmis werden im Volksmund auch Palmeros genannt. Wenn allerdings die Entwicklung der letzten Jahre so weitergeht, steht diese Gattung bald auf der roten Artenschutzliste. Verdrängt wird sie von den Resis und Touris. Wie erkennen Sie nun, wer zu welcher Gattung gehört? Schließlich gibt es doch überall auf der Welt solche und andere, also auch auf der Isla Bonita. Stimmt, und um langes Rätselraten zu ersparen, helfen wir Ihnen hier und heute mit ein paar Erkennungsmerkmalen der örtlichen Zweibein-Fauna weiter. Gottseidank!
Touris zum Beispiel erkennen Sie an kurzen Hosen bei kaltem Wetter, an Rucksäcken natürlich und Reiseführern, oft in Kombination mit ausländischen Tageszeitungen, die alle bereits einen Tag alt sind. Weil nämlich nichts so alt ist wie die Zeitung von gestern, lesen Resis leider oft die Zeitung mit den vier großen Buchstaben, die ist nämlich tagesaktuell. Aber weiter mit den Touris. Sie schleppen enorme Mengen Plastiktüten an Dienstagen und Donnerstagen aus dem Supermarkt, das sind nämlich die typischen Ankunftstage. Das Umweltbewusstsein erwacht erst später, schließlich ist man abgenervt vom Flug, und Mülltüten braucht man ja auch. Die Autos, auf die sich diese Zielgruppe zubewegt, sind zum Beispiel Marbellas oder Citroens. Das ist deshalb wichtig, weil Verwechslungsgefahr mit Palmis droht. Die allerdings streben mit ähnlichen Mengen Tüten vorzugsweise an Samstagen und auf andere PKWs, Toyotas und jede Art von Pickups zu. Der Einkauf wird bei Palmis allerdings oft auf mehrköpfiges familiäres Begleitpersonal verteilt.
Weiter in der Bestimmungslehre: Touris erkennen Sie an ihrer artspezifischen rötlich-braunen Farbe, oft ins gleißend-rot abdriftend, sowohl bei den Männchen als auch bei den Weibchen.Verlangsamte Fortbewegung mit schweifenden Blicken, ungeniertes Fingerzeigen auf dit und dat sowie längere Schlangen vor deutschen Bioläden oder Bäckereien deuten weiter auf die Gattung hin. Aber aufgepasst: schon wieder droht Verwechslungsgefahr, diesmal mit Resis. Auch die frequentieren die genannten Läden, aber haben es durchweg eiliger. Fast immer sind sie im Stress, oft auf der Suche nach ausländischer Wertarbeit wie Spezialschrauben und -nägel, die in den örtlichen Ferreterías, wenn überhaupt, nur mit Suchdetektoren aufzuspüren sind. Resis sind schließlich nicht zum Vergnügen hier, deshalb wirken sie oftmals leicht gehetzt. Sie ahnen es schon, es gibt bei jeglicher Gattung verschiedene Unterarten, so auch bei den Resis.
Da sind zunächst einmal die, die explizit nach La Palma ausgewandert sind (wegen Klima, Landschaft, Vulkanenergien oder einfach aus Sehnsucht nach Inseldasein). Diese Art nennt man auch Nesthocker, eben weil sie längere Zeit am selben Ort verweilen. Nestflüchter hingegen sind die zahllosen Überwinterer oder ewig Suchenden (nach Erleuchtung oder Eins-Sein), die irgendwann dann mit Wind und Wellen weiterziehen. Bei den Nesthockern nun verdienen zwei Untergruppen besondere Erwähnung: diejenigen, die ihr frühes oder spätes Glück als Rentner oder Pensionäre genießen, und diejenigen, die ihr Geld verdienen, vorrangig mit Billigjobs oder Artesanía-Läden, Restaurants oder Immobilien. Unter den endemischen Arten der Nesthocker verdient die Spezies Künstler auf jeden Fall besondere Aufmerksamkeit. Maler, Töpfer, Musiker, Lebenskünstler. Diese hypersensible Spezies ist allerdings stark bedroht in ihrer Art wegen zahlloser energiezehrender „Wer mit wem oder doch lieber nicht“-Auseinandersetzungen.
Eine weitere interessante Unterart der Resis, die in engem Kontakt zu den Touris stehen, sind die Wandervögel, hier Wanderführer genannt. Viele sind arg gefährdet durch Ressourcenschwund ihrer Nahrungsgrundlage: keine Touris, keine Knete. Vulkanroute rauf, urwaldähnlichen Mischwald runter, kreuz und quer durch die Caldera. Apropos rauf und runter: als Bewegungsmerkmal durchaus auch beim Paarverhalten der Zweibeiner generell zu entdecken. Da brechen Beziehungen auseinander, finden sich exotische Verbindungen neu. Alltägliche Streitigkeiten um Grenzen der jeweiligen „terrenos“ oder Fluchtdistanzen machen das Leben interessant, weil schwer. Resis sind auffällig häufig deutschlastig, allerdings wurden auch verschiedentlich Exemplare anderer Regionen geortet, und der aufmerksame Tierfreund hört auch schwyzerdütsch („odrr?“), neederlandsk („heel lecker“) sowie skandinavische und russische Laute, die wiederzugeben Sie mir bitte ersparen.
Tja, und wenn Sie darüber hinaus noch andere Lebewesen männlichen Geschlechts und mittleren bis höheren Alters auf Bänken innerhalb geschlossener Ortschaften am hellichten Tag zu normalen Geschäftszeiten verweilen sehen, die, teils amüsiert, teils nachdenklich, aber immer wohlwollend das verrückte Treiben betrachten, dann haben Sie sie entdeckt: die Endemiten. Es gibt sie noch, die Palmeros, auch wenn die Bestandsdichte arg dezimiert ist. Demgegenüber ist allerdings die Individuendichte, zum Beispiel bei „fiestas“, enorm hoch. Aber dazu kommen wir noch. Freundliche Zurückhaltung, aber auch Fuchsesschläue zeichnet die Ureinwohner aus, sowie ein großes Maß an Toleranz ihren Gästen gegenüber, die sich durchaus nicht immer als solche verhalten. Hervorstechendes Merkmal junger Endemiten ist das Handy, Auffallend weiterhin Parken in zweiter oder dritter Reihe sowie hartnäckiges Vermeiden jeglicher Pünktlichkeit und völlig undezente Begrüßungsrituale. Da können die Zugereisten noch was lernen: Das obligatorische Mindestbegrüßungsritual besteht aus mindestens drei Schritten.
Schritt eins (bei männlichen Exemplaren häufig verbunden mit heftigem Schulter-, gelegentlich auch Rückenklopfen): »Hola! Qué tal?« Schritt zwei (Antwort): »Muy bien, y tú?« Und schließlich Schritt drei: »Me alegro.«, jetzt in deutlich zufriedenem Tonfall, leicht singend. Nun denn, als Gästin hier mit Herkunftsland Ostfriesland erinnert dennoch vieles an die Heimat. Nur heißen die Schützenfeste hier eben „fiestas“, können es an Alkoholkonsum und Balzverhalten aber durchaus mit Feuerwehrfesten in Ditzum, Rysum oder Ochtersum aufnehmen. Und hier wie dort folgt auf „fiesta“ immer„siesta“, und dann geht erst mal eine Weile gar nichts mehr. Alles nichts Ungewöhnliches, und so bleibt denn nur, sich keinerlei Illusionen über wahre Integration zu machen, die eigene Bescheidenheit und Toleranz zu kultivieren und ansonsten munter Menschen, Tiere, Sensationen zu genießen.