Vom Trocknen benutzter Teebeutel an der Wäscheleine
In meinem früheren Leben bewohnte ich einen hübschen 28 Quadratmeter großen Pajero. Ehe ich dort einzog, fragte ich mich, ob ich das alles wirklich gebrauchte, was ich so brauchte, und trennte mich kurzentschlossen von vielem. Weg mit luxuriösem Schnickschnack, Schlichtheit als Zeichen kultureller Eleganz. Ich wusste, dass der durchschnittliche Europäer mindestens 15 mal soviel Energie verbraucht wie Bewohner mancher Schwellenländer. Dort haben die Menschen normalerweise mehr Kinder, aber wenn eine 15köpfige Familie genauso viel Energie verbraucht wie ich alleine, habe ich kein Recht zur Kritik. Und da ich auf das Bevölkerungswachstum wenig Einfluss habe, kann ich nur hier meinen Beitrag leisten und sinnvoller und weniger konsumieren. Wenn ich mir dann anschaue, was ich mit dem besten aller Ehemänner schon wieder angehäuft habe und konsumiere... Wo ist bloß mein Bewusstsein geblieben? Also wächst mein Interesse am Phänomen „Geizhalstum“, und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich etwas unternehmen muss.
Ich sprach daraufhin mit Ludwig Sparbrötchen. Er lebt auch hier auf der Insel, schreibt eifrig an einer „Geizhalsenzyklopädie“ und hat seinen Abfalleimer im Müll gefunden. Er trocknet benutzte Teebeutel an der Wäscheleine, die dann dort neben frisch gewaschenen Plastiktüten im Wind wehen. Grundsätzlich tauscht er statt zu kaufen... aus Spaß und Überzeugung. Er hat mich schwer beeindruckt, denn er macht nicht nur wunderbare Ausläufe oder Armer Ritter aus altem Brot, er macht auch, was dann noch übrigbleibt, zu Paniermehl. Hierzu trocknet er dicke Scheiben in der Sonne, wendet sie regelmäßig und schwört, die Haltbarkeitsdauer liegt bei einem Jahr. Aus allen möglichen Essenresten zaubert er leckere Currygerichte, und aus Hülsenfruchtresten werden mit Paprika und Zwiebeln leckere Aufstriche. Falls Ludwig Sparbrötchen sich doch einmal in ein Restaurant verirrt, lässt er sich die Reste grundsätzlich einpacken. In einem Karton sammelt er Dinge, die man ihm geschenkt hat, die ihm aber nicht gefallen, um sie bei passender Gelegenheit weiterzugeben. Er steckt die Zuckertütchen ein in der Bar und geht meist in gebückter Haltung durch Supermarktregale, weil die günstigen Angebote nicht in Augenhöhe positioniert sind. Irgendwie beeindruckt mich der Mann. Interessanterweise strahlt er viel mehr Zufriedenheit aus als viele seiner Zeitgenossen. Das bringt mich ins Grübeln.
Ich habe sofort begonnen, einseitig beschriftetes Papier zu zerschneiden und zu Notizblöcken fürs Telefon oder zu Einkaufszetteln umzufunktionieren. Binnen kurzer Zeit hatten wir ungefähr fünf Kilo Notizzettel. Das brachte mich wiederum ins Grübeln. Wir lasen Zeitungen und Magazine, ohne sie anschließend an andere interessierte Zeitgenossen weiterzugeben. Das hat sich dank Ludwig nun geändert, und auch mit abgelegten Kleidungsstücken weiß ich jetzt, wohin. Wann immer ich irgendetwas Richtung Mülleimer bewege, ertappt mich mein schlechtes Gewissen: Halt. Könnte vielleicht Ludwig Sparbrötchen das noch gebrauchen? Früher hatte ich alle möglichen Hobbys, die aber allesamt Geld kosteten. Heute ist das anders: ich sammle seltsame Träume und kuriose Ideen meiner Zeitgenossen. Das kostet kein Geld, nur Aufmerksamkeit.