Das Wort zum Sommer
Ab jetzt sehe ich alles positiv. Früher war es mir hier oft viiiel zu heiß. Jetzt habe ich erkannt, dass die Menschheit in zwei rivalisierende Lager gespalten ist: das eine Lager klagt dauernd über die Hitze, das andere über Wasserschäden an undichten Dächern und Wänden. Ich sehe das alles jetzt positiv. Regnet‘s rein? Macht nichts. Der Regen will zu uns? Er ist willkommen, bitte eintreten. Bald ist ja wieder Sommer. Und wenn der mich dann mit 150 Grad im Schatten plagt und der Levante tagelang alles mit einer feinen Staubschicht bedeckt... macht nichts. Als denkfähiger Mensch habe ich jetzt erkannt, dass der Herr im Himmel mir nur freundlich zu verstehen gibt, dass ein Großputz fällig ist. Und bis der Wind abgeflaut ist, sage ich mir: „Das sehe ich positiv. Allzu sauber ist sowieso ungesund.“ Auch lange Warteschlangen vor Kassen oder Schaltern nerven mich schon längst nicht mehr, schließlich wollen sie mir deutlich machen, dass ich reicher bin als 75% der Menschheit, die entweder kein Essen im Kühlschrank haben (oder überhaupt keinen Kühlschrank), keine Kleider am Leib, kein Dach über dem Kopf oder kein Geld auf der Bank.
Selbst Getöse und Geknalle bei Fiestas oder Prozessionen macht mir überhaupt nichts mehr aus, seit mir neulich ein Freund in Hamburg diese Super-CD vorgespielt hat, (für nur 8 Euro), auf der ausschließlich interessante Hintergrundgeräusche wie Töpfeklappern und Klospülungen zu hören sind, einzig und allein zu dem Zweck, die einsame Stille der 14 Millionen deutschen Single-Haushalte zu vertreiben. Armes Deutschland, wie gut, dass wir hier auf La Palma leben und kostenlos an manchem Großfamilienstreit Anteil nehmen dürfen. Da ist wenigstens was los. Selbst individualpsychologische Schwierigkeiten sehe ich jetzt positiv. Bin ich zu dick? Dann trinke ich eben fröhlich jeden Morgen eine Tasse Luft und trage abends eine Tomate durch die Stube. Und wenn ich dann den Selbstversuch aufgrund akuter körperlicher Schwächezustände abbrechen muss, sehe ich das positiv. Wenn ich noch weiter hungere, denken die Leute doch bloß: „Guck mal, so ne tolle Frau, und die muss mit so einem alten Knacker rumschieben.“
Und seit ich ja weiß, dass Männer seltsame Wesen sind, führe ich lieber ein offenes Gespräch mit einem meiner Vierpfotentiere. Nur positiv, das ist wichtig. Und auf gesellschaftlichen Veranstaltungen mit intellektueller Schlagseite vertrete ich neuerdings die These, dass vollkommene Beziehungen sowieso langweilig sind. Eine sofort von mir durchgeführte Umfrage ergab, dass 85% aller Ehen schlecht sind, 11% schlechthin unerträglich, 3% gehen gerade noch und von einer weiß man‘s nicht. Viele Ehen vermodern ohnehin vor dem Fernseher. Und wenn dann mal Stromausfall ist: keine Glotze, kein PC, kein Mixer, Staubsauger, Bügeleisen, keine Spül- und Waschmaschine, keine Pumpen und allfälligen Geräte des kleinen Heimwerkers gehen mehr. Endlich Ruhe. Ich seh das positiv. Endlich mal was Sinnvolles tun. Nur die heiße Tasse Tee, die fehlt mir dann. Aber was soll‘s. Überhaupt liegt die Lösung eines jeden Problems ausschließlich im guten Willen der Beteiligten. Diese Feststellung ist übrigens das Ergebnis langjährigen Forschens und harter persönlicher Erfahrung. Also dann: kommen Sie gut über den Sommer.